Freitag, 30. Oktober 2009

Die Apple Magic Mouse - Anspruch und Wirklichkeit



Oder: warum Apple immer auf halber Strecke stehenbleibt


Steve Jobs wird nachgesagt, seine Mitarbeiter mit seinem Perfektionismus an den Rand der Verzweiflung zu treiben - und darüber hinaus. Er sei der „ultimative Nutzer“, der alles nur aus seiner Sicht definiert.

Diesen Perfektinismus finde ich immer seltener bei Apple Produkten. Vielmehr entstehen halbgare Hard- und Software am Fließband. Die neue Magic Mouse ist hier ein einschlägiges Beispiel.



Auf die Mausfunktionen im engeren Sinne will ich weniger eingehen: die Laserabtastung erscheint solide wenn auch nicht überragend, kleine Ruckler in der horizontalen Bewegung sind auf gleichmäßigem Untergrund durchaus festzustellen, stören aber nicht im täglichen Einsatz. Genauso gut oder schlecht wie der Vorgänger, die Mighty/Apple Mouse, würde ich sagen.

Die Form ist extrem Flach. Das ist zuallererst mal eine Gewöhnungsfrage: die flachen Tastaturen riefen bei mir zunächst auch Skepsis hervor, mittlerweile verehre ich sie. Die Tastatur meines MacBook Pro Unibody würde ich sogar als kompromisslos gut bezeichnen - ebenso wie das dazugehörige Glas-Touchpad vielleicht das überzeugendste Stück Hardware ist, das Apple im letzten Jahr veröffentlicht hat.

Ob die flache Form nun also auch bei der Maus funktioniert, wird sich im längeren Test erweisen müssen, auf jeden Fall muss man seine Handhaltung umstellen.


Worauf ich aber detailliert eingehen möchte, ist die mit einigem Tamtam vorgestellte Touch-Oberfläche. Die funktioniert auf rein technischer Ebene perfekt: jede Bewegung zum Scrollen oder Wischen wird exakt umgesetzt, der Eindruck hier wirklich ein „draufmontiertes Touchpad“ zu haben entsteht ganz unmittelbar.


Die Frage ist nur: warum nutzt Apple es nicht. Die bisher unterstützen Funktionen sind:

  1. Scrollen (vertikal/horizontal, also das was man bisher mit der Mauskugel der Mighty mouse auch schon konnte)
  2. Zwei-Finger wischen nach links und rechts.
  3. Links und Rechtsklick durch mechanisches runterdrücken der kompletten Maus (exakt wie bei der Mighty Mouse)

Das war es.

Ehrlich.


Wir sind also auf dem Stand angelangt, den die Apple Touchpads vor drei Jahren hatten. Hier also eine Liste der Funktionen, die offensichtich auf der Ebene der Treiber fehlen:

  1. Zoomen (mit zwei Fingern auseinander/zusammen) - die angebotene „drücken sie doch gleichzeitig die ctrl-Taste“-Alternative ist Unfug;
  2. zwei Finger scrollen nach oben/unten (womit auch immer man das belegen könnte, etwa „Spring zu Anfang oder Ende“ oder „Starte Expose und Spaces“);
  3. drei Finger Gesten (wären problemlos auf der breiten Fläche abbildbar, auch mit meinen dicken Fingern);
  4. Klicken durch reines Berühren der Oberfläche, nicht das archaische Niederdrücken der Maus;
  5. Rotationsgesten links/rechts.
  6. Alternative Bediehnung: warum nicht die ganze Oberfläche wirklich als Trackpad nutzbar machen, also die Fingerposition verändert auch die Mauszeigerposition.

Wir haben also keinerlei Fortschritt in der Funktionsvielfalt gegenüber der Mighty Mouse: es fehlt sogar die dritte Maustaste (Niederdrücken der Kugel) und belegbare Seitentasten.

Jetzt stellt sich mir ganz konkret die Frage: Warum tut Apple das. Oder konkreter: warum tun sie so vieles nicht, warum verweigern sie sich „to walk the extra mile“.


Es ist umso unverständlicher wenn man sich anschaut, dass mit MultiClutch seit Jahren (!) ein einfach zu nutzendes Tool für OSX existiert, mit dem man seinem (Multi-)Touchpad praktische Tipps beibringen kann.


Warum wird dieser Ansatz nicht von Apple übernommen, oder am besten gleich der Hobby-Entwickler eingekauft, wie man es bei CoverFlow gemacht hat? Das nächste Beispiel: Momentum Scroll.


OSX hinkt hinter dem iPhone hinterher - seit Jahren


Momentum Scroll ist, kurz gesagt, alles was die iPhone Bediehnung so hübsch macht: ein sanftes „Ausrollen“ nachdem man gescrollt hat, was auf dem iPhone bekanntlich eher zu einem „Schubsen“ als zu einem Scrollen führt. Jeder liebt es. Warum wurde das nicht für OSX adaptiert? Das dies relativ problemlos möglich ist, beweist mit SmartScroll wiederum ein anderer Hobby-Entwickler.

Seine Implementierung ist so perfekt und „sleak“, dass mir jeder OSX Rechner ohne SmartScroll wie ein Relikt aus der Steinzeit anmutet. Sprich: wie ein olles Nokia Handy im Vergleich zu einem iPhone. Nun hat Apple nach Jahren ein Einsehen und implementiert dieses „momentum scroll“ genannte Spektakel in die Magic Maus Treiber - an und abschaltbar.


Nur:

  1. Das Scrollen ruckelt. Es ist hässlich. Man will es sofort abschalten. Im A/B Vergleich ist die butterweiche SmartScroll-Implementierung um zwei Generationen überlegen.
  2. Warum nur für die Magic Mouse und nicht auch für alle Rad-Mäuse und Touchpads? SmartScroll beweist kompromisslos, dass es gerade für Touchpads extrem nützlich ist.

Es will mir nicht in den Kopf, dass Apple sich TRAUT das Feature auf diese Art zu implementieren wenn ein (von mir sehr geschätzter) Hobby-Entwickler dasselbe in besser seit Jahren zum Download anbietet.


Nun mag man einwenden: nur Gemach, das wird Apple alles nachreichen.

Vermutlich werden sie das tun, irgendwann. Und hier beginnt der zweite Teil meiner Philippika: warum wendet Apple seit Jahren diese enervierende Salamitaktik an, was nützliche Features angeht? Hier mal einige Paradebeispiele:

  • das iPhone ist nicht nur eine „Ikone der user experience“ wie es so schön heißt, sondern auch eine einzige große Riesensalami, um im Bild zu bleiben. Und ich meine jetzt nicht so lächerlich zu vernachlässigende Features wie cut&paste. Die Älteren unter uns werden sich erinnern: es gab eine Zeit, da gab es keinen App-Store. Da wusste niemand, dass es einmal so etwas wie Apps geben könnte. Auch wusste niemand, was für ein 3D Chip eigentlich im iPhone verbaut wurde und was man alles aus den Lagesensoren heraushohlen konnte. Und wir erinnern uns weiter: dieser Zustand dauerte EIN JAHR an. Dann plötzlich ging auf der Keynote die Bombe hoch und man dachte: OMFG - was habe ich da ein Jahr lang bloß unwissend in der Hand gehalten? Nun spricht es natürlich für eine kaum zu unterschätzende Überlegenheit von Apple, dass man sich diesen Ein-Jahres-Featurefreeze leisten kann - aber war das nötig?
  • Snow Leopard und das 64 Bit Drama: dass sich SL nicht voreingestellt mit 64 Bit sondern 32 Bit bootet - geschenkt. Aber warum gelingt es nicht, zumindest die Flagschiff-Applikationen von OSX, iTunes und iPhoto etwa, in 64 Bit herauszubringen? Was haben die Entwickler eigentlich ein langes Jahr lang gemacht, seitdem SL angekündigt wurde?
  • Wo wir bei iTunes sind: das ist eine Ikone der Mittelmäßigkeit. Die grundlegenden Verwaltungsfeatures sind super, hier erfüllt es 90% meiner Use-Cases. Mehr will ich gar nicht verlangen. Aber: warum bitte ist das Scolling so ruckelig? Im Vergleich zu iPhoto oder Apple Mail fühlt sich die ganze Oberfläche behäbig, ruckelig, unfertig an. Und dieser Zustand besteht seit Jahren. In iPhoto werden wesentlich komplexere Daten in gleicher Anzahl verwaltet und trotzdem ist alles hübsch und flüssig.
  • das iTunes LP-Format: wie lieblos geht es eigentlich noch? Warum müssen wir monatelang warten, bis es auf dem (ebenfalls eine Ikone der Mittelmäßigkeit) Apple TV läuft? Und warum werden die LP-Daten nicht auf dem iPhone und iPod Touch angezeigt, die doch dafür wie geschaffen sind? Es tröstet wenig zu hören: „das wird alles für das Tablet aufgespart“ - wir leben im Hier und Jetzt.

Es scheint mir im Ergebnis so zu sein, dass die erste Implementierung neuer Soft- und Hardware immer nur auf einen niedrigen Minimalkonsens hin optimiert ist. Für mich ist das eine Frage mangelnder Qualitätskontrolle. Ruckelnde Software wie iTunes oder Momentum Scroll sollte es 2009 nicht mehr geben.


Vielleicht ist Steve doch sehr krank.

Oder, wie ein Freund twitterte: „viel Maus, wenig Magic“.

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